Es ist 11:58 Uhr, pünktlich trudeln die Physikstudierenden in den Seminarraum im ICT-Gebäude am Campus Technik der Universität Innsbruck ein. Zwei Minuten später startet Milan Ončák, assoziierter Professor am Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik, direkt mit dem Besprechen der ersten Übung: „Beschreiben Sie den relativen Wert des chemischen Potenzials aller möglichen Phasen, die im Phasendiagramm von Wasser mit ‚x‘ markiert sind. Wer hat die Aufgabe gelöst?“
Ein ganz normales Proseminar für die Physikstudierenden im 6. Semester? Nicht ganz: Milan Ončák kennt alle Teilnehmenden beim Vornamen, die Studierenden sitzen in Kleingruppen zusammen, Aufgaben werden zwar vorne an der Tafel besprochen, vorab wurden diese allerdings in Dreierteams diskutiert und gelöst.
„Ich habe selbst ein klassisches Studium mit frontalen Lehreinheiten erlebt. Damit war ich nicht immer glücklich, deshalb habe ich mir überlegt, wie man Lehre anders gestalten kann.“
– Milan Oncák
SCALE-UP nennt sich die Lehr- und Lernmethode, nach der Ončák und seine Kolleginnen und Kollegen das Proseminar Theoretische Physik IV (Statistische Physik) und auch die dazugehörige Vorlesung gestalten. Das Konzept wurde 1997 vom Physiker Robert Beichner an der North Carolina State University entwickelt, um Physikkurse mit vielen Teilnehmenden interaktiv zu gestalten. Die Abkürzung SCALE-UP stand anfangs für „Student-Centered Activities for Large Enrollment Undergraduate Physics“.
Inzwischen ist das Konzept an mehreren hundert Hochschulen im Einsatz und wurde auf andere Studienfächer erweitert, sodass sich inzwischen der Begriff „Student-Centered Active Learning Environment with Upside-down Pedagogies“ etabliert hat.
„Ich habe selbst ein klassisches Studium mit frontalen Lehreinheiten erlebt. Damit war ich nicht immer glücklich, deshalb habe ich mir überlegt, wie man Lehre anders gestalten kann“, schildert Initiator Milan Ončák. Es zeige sich, dass die Ergebnisse nach diesen Kursen besser ausfallen, das sei auch empirisch belegt. „Allerdings sind es viele Studierende nicht gewohnt, interaktiv zu arbeiten – das ist für manche eine Umstellung“, erklärt Ončák. Teil seines Projektteams für das SCALE-UP-Konzept sind Barbara Obwaller, Regina Rusch, Luise Schnurr, Dominik Jank, Gabriel Schöpfer und Arik Bürkle.
Barbara Obwaller hat dasselbe Seminar vor einigen Jahren als Bachelorstudentin erlebt, heute steht sie den Studierenden als Lehrende zur Seite: „Es geht darum, dass man die Studierenden stärker in den Unterricht einbindet, indem sie in kleinen Gruppen arbeiten, die Aufgaben gemeinsam lösen und wir diese hinterher im Plenum besprechen.“
Auch die Physikstudierenden überzeugt das Konzept: „Durch die SCALE-UP-Methode, die wir sowohl im Seminar als auch in der Vorlesung anwenden, werden Inhalte nicht nur öfter wiederholt, sondern man kommt auch mit vielen anderen Studierenden in Kontakt. So ist man beim Lösen der Aufgaben nicht nur auf seine eigenen Gedanken beschränkt. Wir unterhalten uns über die Aufgaben und kommen auf Ideen für Lösungswege, die wir allein nicht finden würden.“
Ein zentrales Merkmal der SCALE-UP-Methode ist die Anordnung der Tische: Statt diese frontal in Richtung Whiteboard bzw. Tafel auszurichten, werden sie so angeordnet, dass die Studierenden gut zusammenarbeiten können. „Ideal wäre es, wenn wir mit runden Tischen arbeiten könnten, weil man sich dann mit den Sitznachbar:innen auf beiden Seiten oder auch quer über den Tisch austauschen kann“, erklärt Barbara Obwaller. In der Zwischenzeit behilft sich das Innsbrucker SCALE-UP-Team mit einer unkonventionellen Aufstellung der Tische, an welchen die Studierenden zu dritt arbeiten.
Die Projektgruppe rund um Ončák plant, das Seminar im SCALE-UP-Format im nächsten Studienjahr wieder anzubieten: „Es ist auch angedacht, das Konzept anderen Kolleg:innen näherzubringen. Allerdings braucht es mehr Personal als bei anderen Lehrveranstaltungen, weil wir die Proseminargruppen jeweils zu zweit betreuen. Aber ich fände es sinnvoll, wenn jede:r Studierende zumindest einmal im Studium die Möglichkeit hat, einen SCALE-UP-Kurs zu besuchen“, so der Physiker.